Der Fokus auf den Atem ist einer der großen Unterschiede zwischen Yoga und Sport/Gymnastik. Mit Deiner Atmung kannst Du Deine Bewegung und mit Deiner Bewegung Deinen Atem unterstützen.
Mit der Verbindung von Atem und Bewegung (Pranayama) verleihst Du Deiner Yogapraxis mehr Tiefe und es wird Dir leichter fallen, einen wundervollen "Flow-Zustand" zu erreichen.
Dein Atem dient Dir immer auch als Feedback, wie es Dir emotional und körperlich gerade geht - wenn Du regelmäßig Atemtechniken übst, fällt es Dir leichter, Unterschiede wahrzunehmen und Deinen Körper zu lesen.
"Pranayama bedeutet: Tanze mit Deinem Atem. Aber man tanzt nicht mit einem Fremden" Shrikrishna
Häufig atmen wir in unserem Alltag viel zu flach - durch Stress, An- oder Verspannung unserer Atemhilfsmuskulatur oder undienliche Bewegungs- und Haltungsmuster. Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit oder wiederum Stress und vieles mehr können die Folge davon sein.
Hier gebe ich Dir einige Atemtechniken an die Hand, die Du während Deiner Yogapraxis praktizieren kannst, um die Kraft von Yoga noch tiefer ausschöpfen zu können oder die Du zwischendurch anwenden kannst, um neue Energie zu schöpfen, Dein Nervensystem zu regulieren und wieder in Deine Mitte zu finden, bei Dir anzukommen.
Kontraindikationen für alle Atemübungen sind Erkrankungen der Atemwege, Herzkrankheiten, zu hoher oder niedriger Blutdruck und schwere psychische Erkrankungen oder Traumata. Übe Pranayama sehr achtsam und frage im Zweifel Deine Ärztin/Deinen Arzt.
Atemtechnik Nr.1 - Der Ujjayj-Atem
Auch die "Siegreiche Atmung" oder "Meeresrauschen-Atmung" genannt.
Aus meiner Sicht ist der Ujjayi-Atem die wichtigste Atemtechnik für Deine Yogapraxis. Sie wird vor allem im Vinyasa-Yoga - in Verbindung mit der Bewegung - und während der Meditation angewandt. Du kannst sie während Deiner gesamten Übungsdauer anwenden. Für den Anfang reichen aber ein paar Minuten, die Du nach und nach steigern kannst. Sie hilft Dir, ganz im Moment zu bleiben und während Deiner Praxis einen meditativen Zustand zu erreichen.
So funktioniert der Ujjayi-Atem:
Komm in einen bequemen und aufrechten Sitz, z. b. Fersen- oder Schneidersitz, gerne aber auch auf einen Stuhl, und schließ Deine Augen, wenn Du Dich damit wohl fühlst. Entspann Deinen Bauch - falls Du ihn auch immer einziehst, lass ihn einfach ganz entspannt nach vorne ploppen. Entspann Deine Arme und Deine Schultern. Lass Dein Gesicht ganz weich werden. Dein Kiefer ist ganz entspannt und Deine Zunge liegt ganz locker in Deinem Mund.
Die Ujjayi-Atmung wird auch Meeresrauschen-Atmung genannt, weil sie dabei ein Geräusch erzeugt, ähnlich wie Wellen, die sanft ans Ufer rollen.
Dafür atmest Du zuerst tief ein und stellst Dir dann vor, bei der Ausatmung mit Deinem Mund einen Spiegel anzuhauchen. Dabei verengt sich Deine Stimmritze leicht und genau das wollen wir beim Ujjayi-atmen. Genauso "hauchend" atmest Du dann wieder ein. Üb das ein paar Mal.
Wenn das gut klappt, versuch es mit geschlossenem Mund durch die Nase. Deine Stimmritze verengen und das gleiche hauchende Geräusch erzeugen kannst Du auch beim durch die Nase atmen. Üb das ein paar Minuten lang. Wahrscheinlich wirst Du feststellen, dass schon beim ersten Versuch Dein Kopf ein bisschen freier wird und Du Dich automatisch entspannst.
Ich finde die Ujjayi-Atmung wahnsinnig hilfreich dabei, meine Praxis zu vertiefen und einen meditativen Flow-Zustand zu erreichen und übe sie eigentlich immerzu, wenn ich Yoga praktiziere. Für den Anfang reichen aber, wie bei allem, ein paar Minuten. Ujjayi-atmen kann auch anstrengend werden, wenn man es noch nicht gewohnt ist und sich gleich am Anfang mit etwas zu überfordern, ist der beste Weg dazu, eine Praxis NICHT beizubehalten.
Die Wirkung des Ujjayi-Atems:
Auf körperlicher Ebene: Der Atem wird tiefer, gleichmäßiger und länger. Die Atemtechnik wirkt erwärmend auf unseren Körper, senkt Puls und Blutdruck
Auf mentaler Ebene: Ujjayi beruhigt und verringert Stress. Dadurch, dass Du Deinen Atem hörst, fallen Dir Atemveränderungen schneller auf. Ujjayi-Atem fördert Deine Konzentration und macht Deinen Kopf frei.
Atemtechnik Nr.2 - Die Wechselatmung
Die nächste Atemtechnik, die ich Dir vorstelle und auch regelmäßig in meinen Unterricht einbringe, ist Nadi Shodana - die Wechselatmung. Die Wechselatmung praktiziert Du "isoliert" von Deiner Yogapraxis. Davor oder danach oder auch einfach in Deinem Alltag, wenn Du sie gerade brauchst oder Dir einfach danach ist.
So funktioniert die Wechselatmung:
Komm in einen bequemen und aufrechten Sitz, z. b. Fersen- oder Schneidersitz, gerne aber auch auf einem Stuhl, und schließ Deine Augen, wenn Du Dich damit wohl fühlst. Entspann Deinen Bauch (falls Du ihn auch immer einziehst, lass ihn einfach ganz entspannt nach vorne ploppen), deine Arme und Deine Schultern. Lass Dein Gesicht ganz weich werden. Dein Kiefer ist ganz entspannt und Deine Zunge liegt ganz locker in Deinem Mund.
Für die Wechselatmung brauchst Du Deine rechte Hand, die Du ins Visshnu-Mudra bringst. Dafür klappst Du Zeige- und Mittelfinger ein, die drei anderen Finger bleiben gestreckt.
Dann bringst Du die Hand an deine Nase, um wechselseitig mit deinem Daumen Dein rechtes und mit Deinem Ringfinger Dein linkes Nasenloch zu verschließen. Dabei legst Du Deinen Finger jeweils ganz sanft an Deine Nase zum Verschließen und drückst nicht zu fest zu.
Deine linke Hand liegt ganz entspannt auf Deinem linken Oberschenkel.
Du beginnst damit, dreimal tief ein und vollständig auszuatmen.
Dann atmest Du noch ein letztes Mal durch beide Nasenlöcher ein, verschließt mit dem Daumen Dein rechtes Nasenloch und atmest links aus. Dann links wieder ein, links mit dem Ringfinger verschließen, rechts öffnen und ausatmen. Rechts Einatmen, links öffnen und ausatmen. Links Einatmen, rechts öffnen und Ausatmen. Und immer so weiter.
Dabei zählst Du bei jedem Ein- und jedem Ausatem in Deinem eigenen Rhytmus bis 4 - sodass jeder Ein- und jeder Ausatem gleich lang ist.
Nach 12 Runden (je einmal links ein und aus und einmal rechts ein und aus) atmest Du noch ein letztes Mal durch Dein rechtes Nasenloch aus, bringst dann Deine rechte Hand zurück auf Deinen Oberschenkel und atmest noch dreimal bewusst tief ein und vollständig aus und spürst deiner Atempraxis nach.
Für Fortgeschrittene:
Wenn Du diese Variante der Wechselatmung schon eine Weile geübt hast, kannst Du den Atem verlängern, also statt 4 z. B. 6 Zähler lang ein- bzw. ausatmen.
---
Du kannst auch Kumbhaka einbauen, wenn Du das möchtest. Kumbhaka bedeutet Atemanhalten und meint, dass Du entweder nach einer vollständigen Einatmung den Atem stoppst oder nach einer vollständigen Ausatmung. Während Nadi Shodana kann das so aussehen
Links Einatmen - 2 - 3 - 4
Halten - 2 - 3 - 4
Rechts Ausatmen - 2 - 3 - 4
Halten - 2 - 3 - 4
Rechts Einatmen - 2 - 3 - 4
Halten - 2 - 3 - 4
Links Ausatmen - 2 - 3 - 4
Halten - 2 - 3 - 4
Kumbhakas wirken beruhigend auf das Nervensystem, stärken unser Gefühl der Selbstkontrolle und unser inneres Gleichgewicht.
---
Eine dritte, fortgeschrittenere Variante ist die Kombination aus Wechselatmung und Ujjayi-Atem, genannt Pratiloma Ujjayi. Es ist eine höchst effektive Atemtechnik gegen Stress, Aufregung, Ängste.
Die Wirkung der Wechselatmung:
Nadi Shodana gehört zu den kühlenden Atemtechniken. Sie wirkt ausgleichend - wenn Du z. B. auf der einen Seite total aufgedreht bist, auf der anderen aber doch nicht so richtig in die Gänge kommst, schafft sie den Ausgleich. Sie wirkt beruhigend bei Nervosität und hilft bei Schlafstörungen. Sie hilft Dir zu innerer Ruhe und Gelassenheit und stärkt Deine Konzentration. Sie eignet sich hervorragend vor wichtigen Anlässen oder Prüfungen, um in Deiner Mitte zu bleiben.
Atemtechnik Nr.3 - Die 4-7-8-Atmung
Die 4-7-8-Atmung ist keine klassische Atemübung aus dem Yoga. Ich zähle sie hier trotzdem auf, weil ich sie einfach super effektiv finde und sie hier ihren Platz verdient hat.
So funktioniert die 4 - 7 - 8 - Atmung:
Komm in einen bequemen und aufrechten Sitz, z. b. Fersen- oder Schneidersitz, gerne aber auch auf einem Stuhl, und schließ Deine Augen, wenn Du Dich damit wohl fühlst. Entspann Deinen Bauch (falls Du ihn auch immer einziehst, lass ihn einfach ganz entspannt nach vorne ploppen), deine Arme und Deine Schultern. Lass Dein Gesicht ganz weich werden. Dein Kiefer ist ganz entspannt und Deine Zunge liegt ganz locker in Deinem Mund.
Atme dreimal tief ein und vollständig aus.
Dann atme durch die Nase ein und zähle dabei in Deinem eigenen Rhytmus bis 4.
Halte Deinen Atem an, zähle in Deinem Rhytmus bis 7.
Atme hauchend wie beim Ujjayi-Atmen langsam aus und zähle in Deinem Rhytmus bis 8.
Fokussiere Dich ganz auf das Zählen.
Übe zuerst nur wenige Runden, bevor Du Dich langsam steigerst. Wenn bis 7 halten und bis 8 ausatmen anfangs nicht möglich ist, dann reduzier die Zähler - z. B. bis 5 halten und bis 6 ausatmen - und steiger Dich langsam.
Die Wirkung der 4 - 7 - 8 - Atmung:
Die 4-7-8-Atmung hilft Dir dabei, schneller einzuschlafen. Sie hilft dabei Ängste und Panikattacken zu reduzieren, wirkt stark beruhigend und soll Heißhungerzustände mildern.
Atemtechnik Nr.4 - Kapalabhati
Kapalabathi = die Feueratmung oder auch das Schädelleuchten. Und ja, der Name kommt nicht von irgendwo ;)
Eine fortgeschrittene Atemtechnik. Bitte erst anwenden, wenn Du schon etwas mehr Erfahrung mit den anderen hier beschriebenen, sanfteren Atemübungen hast. Anfangs kann es zu leichtem Schwindel kommen - der aber schnell wieder vorbei geht.
Die Atemübung soll nicht während der Schwangerschaft geübt werden oder nach Operationen im Bauchraum oder an den Atemorganen.
So funktioniert Kapalabhati:
Komm in einen bequemen und aufrechten Sitz, z. b. Fersen- oder Schneidersitz, gerne aber auch auf einem Stuhl, und schließ Deine Augen, wenn Du Dich damit wohl fühlst. Entspann Deinen Bauch (falls Du ihn auch immer einziehst, lass ihn einfach ganz entspannt nach vorne ploppen), deine Arme und Deine Schultern. Lass Dein Gesicht ganz weich werden. Dein Kiefer ist ganz entspannt und Deine Zunge liegt ganz locker in Deinem Mund.
Atme vorbereitend dreimal tief ein und aus.
Atme ein weiteres Mal tief ein und "ruckartig" schnaubend wieder aus.
Konzentriere Dich ganz auf das Ausschnauben, so wird Dein Einatem ganz von selber kommen. Deine Bauchdecke zieht ausatmend fest nach innen und ploppt einatmend wieder nach außen.
Du musst Dich um Deinen Einatem nicht kümmern, sondern Dich ganz auf den Ausatem konzentrieren.
Beginne erst mit wenigen (20 bis 30) "Atemstößen" und steigere Dich langsam.
Atme abschließend noch ein paar Mal tief ein und aus und spüre warmen, aufgeladenem Gefühl in Dir nach.
Die Wirkung von Kapalabhati:
Kapalabhati erhöht Dein Energielevel, versorgt Deine Muskulatur und Dein Gehirn mit mehr Sauerstoff und sorgt für einen klaren Kopf. Die Herzfrequenz und der Blutdruck werden erhöht, sie wirkt anregend, erwärmend und belebend. Sie reinigt die Atemwege und fördert die Verdauung
Warum haben Atemtechniken eine so starke Wirkung auf unseren Körper und unseren Geist?
Unsere Atmung wirkt auf unser Nervensystem, vor allem auf den Sympathikus und den Parasympathikus.
Der Sympathikus sorgt für Leistungssteigerung. Er wird aktiviert z. B. in Stress- und Notfallsituationen, die Atemfrequenz steigt, die Muskulatur spannt sich an, der Blutdruck steigt.
Der Parasympathikus bewirkt, dass wir uns entspannen und regenerieren können, die Herz- und Atemfrequenz wieder abnimmt.
Grundsätzlich kann man sagen, dass man mit dem Fokus auf den Einatem den Sympathikus aktiviert, somit das Energielevel erhöht und mit dem Fokus auf den Ausatem, wie z. B. bei der 4-7-8-Atmung den Parasympathikus aktiviert und damit für Entspannung, Ruhe und ein Absenken der Herz- und Atemfrequenz sorgen kann.
Auf den Atem kommt es an
Mit dem Verinnerlichen dieser Atemtechniken kannst Du eine ganz neue Tiefe in Deiner Yogapraxis erreichen und Dich wie "im Fluss" fühlen. Durch Deine Atmung wird Deine Yogapraxis zu Meditation und Du kannst tiefe Entspannung darin finden und Deinen "Monkey Mind" zur Ruhe bringen. Eine schöne Aussicht, oder?
Deine Yogalehrerin mit Herz
Sabine
Toll beschrieben. Vielen Dank dafür. Liebe Grüße Maren